Gratwanderung
Zweifelsohne erreichen wir nicht alle den höchsten Punkt der Erde oder den Mond, aber ausgetretene Pfade zu gehen ist nicht nur langweilig, diese führen auch selten an die Spitze. Bei einer meiner Wanderungen erkannte ich, wie sich verantwortungsbewusste Menschen fühlen, wenn sie essenzielle Entscheidungen treffen müssen. Ob in der Politik, im Management oder beim Bergwandern – jeder freut sich über einen raschen Aufstieg. Ist das erste Ziel erreicht, will man naturgemäß mehr. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es manches Mal besser ist, Umwege zu gehen oder auszuharren, um nicht kalkulierbares Risiko zu vermeiden. Vor einigen Jahren entschied ich mich für eine eineinhalbstündige Gratwanderung. Es ist mir bewusst, wie konzentriert und achtsam ich dafür sein muss. Allein unterwegs zu sein heißt, hundertprozentige Eigenverantwortung und dementsprechend gute Entscheidungen zu treffen.
Es fehlten die Wegmarkierungen und somit begann die Suche nach Spuren. Die ersten Anhaltspunkte führten mich direkt zu einem senkrechten Abgrund. Aus heutiger Sicht scheint die Entscheidung umzukehren logisch zu sein, aber wer entscheidet sich schon spontan für ein Scheitern … Ich ließ mich nicht weiter von vermeintlichen Fährten beirren und die neue Taktik war, zu versuchen, die Landschaft zu verstehen. Ich stieg daher einige hundert Meter über wegloses Gelände ab – ein Risiko, denn wenn ich keinen Pfad gefunden hätte, hätte ich wieder aufsteigen müssen und mir wäre nur noch der Rückweg über den Grat geblieben. Mit einer gewissen Enttäuschung im Kopf hätte dieser sicher auch Gefahren in sich geborgen.
Mit dem Abstieg beschloss ich zugleich, einen großräumigen Umweg zu gehen. Die scheinbar verlorenen Höhenmeter und der weite Weg brachten mich allerdings zu einem landschaftsfotografischen Paradies. Noch immer erinnere ich mich gerne an diese Tour, und zwar vor allem dann, wenn es gerade nicht nach Wunsch läuft.
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